Russische Öl-Einnahmen sinken ins Bodenlose

Muss Putin seinen Krieg abbrechen um sein Regime zu retten?

Die jüngste Talfahrt der Ölpreise, die sich durch den von US-Präsident Donald Trump ausgelösten Handelskrieg gegen China und andere Staaten noch dramatisch beschleunigt, zeigt einmal mehr, wie schnell Russlands auf fossilen Brennstoffen basierende Schein-Ökonomie ins Straucheln gerät. Brent notiert derzeit bei 60,44 Dollar pro Barrel, der Preis für US-Öl sackt auf 57 Dollar, und Russlands entsprechendes Ölsortiment dürfte noch deutlicher im Keller liegen. Dies droht die ohnehin bereits von westlichen Sanktionen und der chronischen Mangelwirtschaft gezeichnete russische Volkswirtschaft hart zu treffen. Man sollte sich keine Illusionen machen: Die unheilvolle Abhängigkeit Moskaus von seinen Öleinnahmen gerät hier massiv ins Wanken.

Über lange Zeit stützte Wladimir Putin seine Herrschaft auf die Rolle Russlands als „Benzinpumpen-Ökonomie“ – als ein Neo-Imperium, das sich keineswegs durch moderne Industriestrukturen oder technologische Kreativität auszeichnet, sondern vor allem Rohstoffe auf die Weltmärkte wirft und das so eingenommene Geld in den Erhalt einer korrupten Machtelite pumpt. Für Jahre kamen dabei ausgerechnet Großabnehmer wie Indien oder die Volksrepublik China zu Hilfe, die für einen Absatz sorgten, der Moskau zumindest halbwegs über Wasser hielt. Gerade dieser rettende Strohhalm droht nun zu brechen, da die Importeure angesichts des globalen Wirtschaftskonflikts viel weniger russisches Öl abnehmen könnten – oder der Preis in völlig unattraktive Tiefen rauscht, was den russischen Haushalt weiter austrocknet.

Das Regime in Moskau sieht sich daher mit drei gravierenden Schocks konfrontiert: Erstens bleibt der Erlös pro Barrel meilenweit hinter dem bei den russischen Etatplanungen für 2025 einkalkulierten Wert zurück. Das zwingt die Kreml-Machthaber, verzweifelt nach Devisenreserven zu fahnden, die sich im Zuge von Sanktionen und Kriegsverschleiß immer rascher verflüchtigen. Zweitens schwächen mögliche Abnehmer wie China und Indien ihre Nachfrage deutlich. Und drittens werden Staaten, die noch russisches Billigöl kauften, künftig verstärkt auf die Trump-Administration schielen, um im Gegenzug für Zollkonzessionen oder andere Protektionsversprechen womöglich lieber zu amerikanischen Energieträgern zu greifen. Damit spielt Putin zwar wiederum Trump in die Hände, doch jeder Schritt in Richtung Washington könnte Russland endgültig das Knie brechen.

Trump selbst legt nämlich Wert darauf, die eigene Erdölindustrie zu pushen. Damit will er zugleich die Golfstaaten für seine Zwecke einspannen, besonders Saudi-Arabien, das durch extrem niedrige Förderkosten auch in einer kollabierenden Weltwirtschaft noch lohnende Exportdeals einfahren kann. Diese sich am Horizont abzeichnende globale Energiekrise wird eine Kernrolle in den 2020er Jahren spielen und potenziell zu einer brutalen Neuverteilung der Machtzentren führen. Putin gerät dann in die groteske Lage, zwischen dem Wunsch nach weiteren Öleinnahmen, einer faktischen Unverkäuflichkeit seines Produkts und seiner eigenen militärisch-expansionistischen Kostenstruktur zu hängen.

All das beschwört eine Rückkehr in die 1990er Jahre herauf, als die Ölpreise ebenfalls dramatisch sanken – mit verheerenden Folgen für die zerfallende Sowjetunion und ihre Nachfolgestaaten. Was damals „nur“ das Ende eines ehemaligen Imperiums bedeutete, könnte diesmal weit explosivere Konsequenzen haben. Russland steckt im mordvollen Krieg gegen die Ukraine, muss Jahr für Jahr immer tiefer ins eigene Budget greifen, um diesen Vernichtungsfeldzug zu finanzieren, und könnte irgendwann schlichtweg keine sozialen Flickwerke mehr aufrechterhalten. Dann drohen echte Feindseligkeiten und regionale Erschütterungen in sämtlichen prorussischen Einflusszonen, darunter innere Aufstände, Bürgerkriege und nationalistisches Aufflammen.

Nach innen müsste Putin angesichts dessen sein Kriegstreiben gegen die Ukraine überdenken – wobei „überdenken“ in diesem System nur heißt, dass er das Feuer entweder pausiert oder neu entfacht, je nachdem, ob er seine Kriegsmaschinerie weiter finanzieren kann. Eine ernsthafte Abkehr von der Aggression gegen die Ukraine steht allerdings nicht auf der Tagesordnung. Vielmehr wird Moskau darauf hoffen, nach einer möglichen Atempause umso rücksichtsloser zuzuschlagen, sobald sich der Ölpreis oder die Umstände wieder bessern. Doch es ist völlig offen, ob Russland im Sturm drohender Wirtschaftskrisen nicht vorher selbst hart an den Rand des Überlebens getrieben wird und seine Bürger irgendwann den Druck auf das Regime erhöhen.

Hinzu kommt, dass Trump, in seiner Doppelrolle als Selbstdarsteller und Protektionist, sich selbst bei einem anhaltenden Handelskrieg mit China verkalkulieren könnte. Die US-Förderstrukturen für Schieferöl sind bekanntermaßen teuer, und fallen die Preise zu tief, kippt dieses Geschäft ebenfalls in die Verlustzone. Für Saudi-Arabien hingegen wäre es vergleichsweise leichter, in einem zerrütteten Marktumfeld weiterzuexportieren und politisches Gewicht zurückzugewinnen. Möglich, dass Trump Riad dann dringend benötigt, um Nahost-Deals zu schmieden, sodass sich der US-Präsident einmal mehr zum Erfüllungsgehilfen eines autoritären Regimes aufschwingen würde – diesmal des saudischen. An echten Friedensinitiativen etwa in der Region oder einer seriösen Stabilisierung kann dabei niemand mehr glauben, denn Trump neigt zu klangvollen Deals, während er gleichzeitig das globale System durch Strafzölle und kurzatmige Provokationen weiter zerlegt.

Damit bleibt Russland als potenzieller großer Verlierer einer gigantischen Umverteilungswelle im Energie- und geopolitischen Sektor übrig. Wenn sich das internationale Umfeld weiter verschärft, könnte Russland am Ende nicht nur finanziell kollabieren, sondern es droht zusätzlich, innenpolitisch völlig zu implodieren. Genauso wie einst in den zerfallenden Jahren der Sowjetunion sämtliche Anrainerstaaten mit ins Chaos gerissen wurden, könnten jetzt Belarus oder andere Satellitenregime in den Abgrund stürzen. Die Kosten wären immens, insbesondere in Regionen, in denen Russland bislang als Schutzmacht oder Finanzier galt.

Erinnern wir uns: Nach dem Ende der Sowjetunion stand ein halbes Dutzend postsowjetischer Republiken mit dem Rücken zur Wand, weil die zentralen Strukturen zusammenbrachen und niemand sich um soziale Absicherungen scherte. Heute vollzieht sich Ähnliches, aber unter den Bedingungen eines brutalen Angriffskriegs gegen die Ukraine, westlicher Sanktionen und einer potenziell apokalyptischen Energiekrise. Eine Rezession in Russland könnte eine wahre Kettenreaktion bei seinen Vasallenstaaten und innerhalb der russischen Gesellschaft auslösen: Während die einen in Aufständen und Rebellionen versinken, versucht das Regime möglicherweise, die Schraube der Repression und der Kriegspropaganda weiter anzuziehen – ein Teufelskreis ohne Ausweg.

Bleibt das große Fragezeichen des Westens: Ob die Verbündeten der Ukraine in dieser entscheidenden Phase des russischen Niedergangs genug Energie und Solidarität aufbringen, um Kiews Verteidigung zu stärken, statt selbst in Krisenpolitik zu verfallen. Denn westliche Länder sehen sich ja gleichzeitig einem eigenen Abschwung und verunsicherten Bevölkerungen ausgesetzt, in denen russlandaffine populistische Strömungen mit ihrer antiliberalen Rhetorik Hochkonjunktur haben. Ein wackeliger Westen, der sich von globalen Handelskonflikten überrollt sieht und sich in illusionsgetriebene Deals mit Autoritären verstrickt, könnte selbst jenen letzten Beistand für die Ukraine gefährden.

Putins Kreml-Regime wird in diesem perfekten Sturm jedenfalls nicht freiwillig kapitulieren, sondern taktisch abwarten, ob sich je wieder bessere Gelegenheiten ergeben, das demokratische Europa von innen zu destabilisieren oder die Ukraine erneut zu überfallen. Doch je weiter der Ölpreis ins Bodenlose fällt, desto weniger Luft bleibt Moskau. Ohne frische Petrodollars ist der russische Angriff auf die internationale Ordnung kaum zu halten. Die Illusion, dass Russland sich irgendwie im Komfortmodus an der Macht halten kann, bröckelt: Die Zeit spielt nicht ewig für Putin. Seine ökonomische Achillesferse liegt offen, während die Welt in Handelskonflikten versinkt.

Wir alle werden also bald eine ungeschönte Realität vor Augen geführt bekommen, deren Wucht das Russland der 1990er Jahre wie einen harmlosen Vorläufer aussehen lassen könnte. Sollte die Weltwirtschaft mit Trump als verschärfendem Faktor weiter schwächeln, wird das Regime Putin nicht nur Schwierigkeiten haben, seine imperiale Kriegsführung fortzusetzen, sondern auch, die elementare soziale Stabilität zu sichern. Mit angespanntem Blick wird man beobachten, ob dies den Kreml zur Einsicht drängt, wenigstens zeitweise den Vernichtungskrieg gegen die Ukraine einzufrieren. Doch auf Dauer ist kein echter Frieden mit einem aggressiven Autokraten zu machen, der an der systematischen Auslöschung des Nachbarstaates festhält.

Ob die westlichen Demokratien und andere Staaten gewillt und in der Lage sind, inmitten einer neuen globalen Energie- und Wirtschaftskrise für die Freiheit der Ukraine einzustehen, bleibt das entscheidende Thema. Denn in derselben Sekunde, in der der russische Krieg nicht mehr zu finanzieren wäre, müsste Kiew die Strukturen haben, um sich zu verteidigen. Und dafür braucht es nicht nur moralische Sympathiebekundungen, sondern harte materielle und militärische Unterstützung. Andernfalls riskiert die Welt, sich in einem Strudel wechselseitiger Krisen zu verheddern – und Putins Regime könnte am Ende doch wieder Zeit und Spielraum gewinnen, seine mörderische Agenda fortzusetzen.