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Putins Spiel auf Zeit
Der Kremlchef lehnt einen westlich abgestimmten Waffenstillstand ab – und setzt stattdessen auf Täuschung durch Verhandlungen.
Wladimir Putin hat wieder einmal deutlich gemacht, dass sein Interesse nicht dem Frieden gilt, sondern der Kontrolle über das Narrativ des Krieges. In einem nächtlichen Auftritt im Kreml, der mehr an eine Machtdemonstration denn an Diplomatie erinnerte, wies er das Angebot eines Waffenstillstands zurück, das zuvor von Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Polen und der Ukraine gemeinsam – und in Absprache mit dem US-Präsidenten Donald Trump – ausgearbeitet worden war. Stattdessen präsentierte Putin einen alternativen Vorschlag: Man könne sich ja am 15. Mai wieder in Istanbul zusammensetzen. Klingt versöhnlich, wäre da nicht der offensichtliche Trick dahinter.
Denn was Putin vorschlägt, ist kein Waffenstillstand – nicht einmal ein symbolischer. Es ist ein rhetorischer Ausweichversuch. Ein Versuch, Zeit zu gewinnen, den Krieg weiterzuführen, aber den Anschein von Friedensbereitschaft zu wahren. Während er in Aussicht stellt, über einen zukünftigen Waffenstillstand zu reden, sterben weiter Menschen an der Front, und russischer Terror gegen ukrainische Städte eskaliert. Das Muster ist bekannt: Parallel zu scheinbar diplomatischen Signalen läuft die Kriegsmaschinerie ungehindert weiter.
Interessant ist, wie Donald Trump in diese Dynamik eingebunden wurde – oder besser: hineingezogen wurde. In den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit hat Trump intensive Gespräche mit Moskau führen lassen, persönlich Kontakt gehalten und seine Vertrauten wie Steve Witkoff mehrfach nach Russland geschickt. Doch genau während dieser Phase eskalierte Russland den Krieg gegen die Ukraine. Putins Kalkül war offenbar, Trump zum Mitwisser – oder gar zum Komplizen – seiner Verbrechen zu machen. Doch inzwischen scheint auch Trump zu begreifen, dass ihn diese Rolle politisch teuer zu stehen kommen könnte. Die Andeutung eines Rückzugs aus den Gesprächen spricht Bände.
Dass Putin nun den Ball wieder nach Washington zurückspielt, mit einem „neuen diplomatischen Vorschlag“, ist nichts weiter als die nächste Etappe in einem Spiel auf Zeit. Eine Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln – nämlich durch diplomatische Verzögerung. Und genau darauf zielt er ab: Wenn die USA und Europa auf das Manöver hereinfallen, wird das Fenster für weitere Offensiven und Kriegsverbrechen geöffnet bleiben. Die nächste Phase russischer Aggression wäre damit vorbereitet.
Die entscheidende Frage ist nun: Wie reagiert der Westen? Schon vor Tagen wurde Putin klargemacht, dass er bis spätestens zum 12. Mai einem Waffenstillstand zustimmen müsse – andernfalls würden neue Sanktionen folgen, wirtschaftlich schwerwiegender als je zuvor. Sollte dieser Schritt tatsächlich vollzogen werden, wäre das ein Zeichen, dass der Westen bereit ist, seine rote Linie zu verteidigen – und dass Trump diesmal nicht einknickt. Dann könnte aus dem diplomatischen Desaster vielleicht doch noch ein Moment strategischer Klarheit werden.
Falls allerdings erneut gezögert wird, weil man sich von Putins Istanbul-Spielchen beeindrucken lässt, dann wird der Kremlchef darin nur eine Einladung sehen, den Krieg weiter zu eskalieren. Die Möglichkeit eines Scheinfriedens liegt gefährlich nahe. Man muss sich fragen: Ist der Westen bereit, aus der eigenen Geschichte zu lernen – oder lässt er sich wieder in Gespräche verwickeln, die nur einem dienen? Putin.