Putins blutiger Pakt

Wie er Armut in Loyalität verwandelt

Russland steckt tief in einem Krieg, der jeden Tag Tausende Tote und Verwundete fordert. Und doch herrscht in vielen Teilen des Landes ein erstaunlicher Optimismus. Präsident Putin hat es geschafft, selbst den ärmsten Regionen ein Versprechen zu machen: Dieser Krieg ist nicht nur Leid, sondern auch eine Gelegenheit, endlich Teil der Gesellschaft zu sein.

Wer für Sarggeld und Prämien in den Krieg zieht, hat mehr zu verteidigen als ein Wehrpflichtiger – er verteidigt nicht nur das Vaterland, sondern auch seinen eigenen kleinen sozialen Aufstieg. Und das macht ihn loyaler, weil er seine Entscheidung vor sich selbst und vor anderen rechtfertigen muss. Was als ökonomische Notwendigkeit beginnt, wird im Kopf zur patriotischen Pflicht umgedeutet – eine psychologische Umarmung, die Putins Regime stärker macht.

Der Kontrast zum Ersten Tschetschenienkrieg zeigt, wie sehr sich Russlands Kriegsführung verändert hat. Damals zwang der Staat massenhaft Wehrpflichtige an die Front – junge Männer ohne Wahl, deren Leid und Wut zu Protesten und Widerstand führten. Heute, im Krieg gegen die Ukraine, verzichtet Putin bewusst auf Zwangsrekrutierung in großem Stil. Stattdessen lockt er die Ärmsten mit Geld und Versprechen. Aus dem Zwang wurde ein Geschäft, aus dem Befehlsgehorsam eine selbstgewählte Loyalität. Wer freiwillig unterschreibt, hat später mehr Grund, den Krieg zu verteidigen: Er kämpft nicht nur für den Staat, sondern auch für die Entscheidung, die ihn selbst ein Stück weit aufgewertet hat.

Putin weiß, wie er diese Loyalität erkauft. In den ärmsten Regionen Russlands wird der Krieg zum sozialen Sprungbrett. Prämien versprechen erstmals einen kleinen Wohlstand: ein Auto, ein renoviertes Haus, die Anerkennung der Gemeinschaft. So wird der Krieg zum Versprechen, endlich nicht mehr am Rand zu stehen. Der Staat liefert das Geld, die Gesellschaft liefert den Respekt.

Doch die eigentliche Macht dieses Modells liegt tiefer. Wer sich freiwillig meldet, verschafft sich nicht nur ein besseres Leben, er schafft auch eine Erzählung für sich selbst: „Ich tue es nicht nur für Geld, ich tue es für die Heimat.“ Diese Rechtfertigung ist zentral – sie verwandelt den Kaufvertrag mit dem Staat in eine moralische Verpflichtung. Sie macht aus materiellen Abhängigkeiten ideelle Bindungen.

Diese Loyalität ist nicht blind. Sie ist das Ergebnis eines psychologischen Spagats: Wer für Geld in den Krieg zieht, muss glauben, dass er für etwas Höheres kämpft. Nur so kann er den Widerspruch aushalten – zwischen der Armut, die ihn treibt, und dem Stolz, den er braucht, um sich nicht als bloßes Werkzeug zu sehen. Putins größter Coup liegt darin, diese Rechtfertigung nicht nur zu dulden, sondern zu fördern: Propaganda, Denkmäler, Rituale – all das stützt die Illusion, dass dieser Krieg mehr ist als ein blutiger Tauschhandel.

Gleichzeitig verleiht der Krieg jenen, die ihn tragen, einen neuen sozialen Status. In Dörfern, wo lange nur das Elend zählte, wird der Soldat jetzt geehrt – nicht als Opfer, sondern als Held. Sarggeld und Prämien schaffen neue Häuser, neue Träume – und neue Gründe, zu schweigen. Wer für den Staat stirbt, gibt der Gemeinschaft einen Anlass, ihn zu feiern. Und wer überlebt, wird nicht mehr übersehen. So wird die Loyalität zum Krieg nicht nur zur inneren Rechtfertigung, sondern auch zur Eintrittskarte in die Gemeinschaft.

Im Westen wird diese Dynamik oft unterschätzt. Viele sehen in Putins Soldaten nur die Opfer eines autoritären Regimes oder willenlose Befehlsempfänger. Doch wer für Geld in den Krieg zieht und darin eine Chance sieht, verteidigt nicht nur den Kreml – er verteidigt auch die eigene Entscheidung. Diese doppelte Bindung – materiell und moralisch – macht den Krieg stabiler, als es scheint.

Während der Krieg in der Ukraine vor sich hinköchelt, militarisiert Putin seine Gesellschaft schleichend. Er verwandelt Armut in Loyalität, Gewalt in Teilhabe – und bereitet damit das Land auf größere Konflikte vor. Denn ein Volk, das gelernt hat, seine Not in patriotische Größe umzudeuten, ist auch bereit, weiterzuziehen, wenn der nächste Krieg ansteht. Nicht nur gegen die Ukraine – sondern irgendwann auch gegen den Westen.

Deshalb ist Putins Modell mehr als nur eine Reaktion auf Sanktionen oder den Druck des Schlachtfelds. Es ist ein Umbau der Gesellschaft: ein System, das sich an Blut und Rubel nährt, um ein Volk an sich zu binden, das er für seine imperialen Träume braucht. Und das macht diesen Krieg so gefährlich – nicht nur für die Ukraine, sondern für Europa.