- Dimitri Nabokoff
- Posts
- Nixon, China und der große Irrtum
Nixon, China und der große Irrtum
Warum die amerikanische Außenpolitik seit 50 Jahren einer Illusion hinterherrennt – und was das für die Allianz zwischen Moskau und Peking bedeutet
In der amerikanischen Erzählung gilt Nixons Besuch in China als außenpolitischer Geniestreich: Man habe China aus dem sowjetischen Block gelöst – ein geschickter Keil, der Moskau schwächte und damit das Ende des Kalten Krieges beschleunigte. Doch das ist eine Legende, die mehr über das Selbstbild Washingtons verrät als über die Realität der damaligen Weltpolitik.
Tatsächlich war China zu diesem Zeitpunkt längst in offener Feindschaft zur Sowjetunion. Der ideologische und territoriale Bruch zwischen Moskau und Peking hatte sich schon Jahre zuvor vollzogen – inklusive blutiger Gefechte an der Grenze, etwa auf der Insel Damansky. Nixon traf also keineswegs auf einen unentschlossenen Partner, der nur auf eine amerikanische Einladung wartete. Im Gegenteil: Mao nutzte das Treffen, um seine Position gegenüber Moskau zu stärken – und Washington ließ sich auf ein Spiel ein, das es bis heute nicht vollständig durchschaut.
Denn was der Westen mit dem Nixon-Besuch wirklich tat, war, der chinesischen Führung nicht nur Legitimität zu verschaffen, sondern auch geopolitische Möglichkeiten zu öffnen. Der Sitz im UN-Sicherheitsrat, die wirtschaftliche Öffnung, die symbolische Gleichstellung: All das bildete die Grundlage für den Aufstieg eines China, das heute zur größten strategischen Herausforderung für den Westen geworden ist. Und doch glaubt man in Washington bis heute, mit ähnlichen Mitteln Russland von China trennen zu können – als wäre Moskau heute Peking von 1972.
Dabei liegt der Unterschied auf der Hand: Damals bestanden reale Gegensätze zwischen Moskau und Peking. Heute jedoch ist von einem strategischen Konflikt zwischen Russland und China nichts zu sehen. Im Gegenteil – die Gemeinsamkeiten dominieren. Vor allem ein Bindeglied zieht sich durch alle Differenzen: der tief verwurzelte Anti-Amerikanismus. In beiden Hauptstädten herrscht die Überzeugung, dass die Vereinigten Staaten zu viel Macht in Eurasien beanspruchen – Macht, die zurückgedrängt werden muss.
Dass es zwischen Moskau und Peking auch heute wieder Reibungspunkte gibt – etwa in Zentralasien, beim Gaspreis oder bei Fragen regionaler Dominanz – ist unbestritten. Doch die strategische Stoßrichtung ist klar: Die USA sollen hinter den Ozean zurück. Und zwar nicht nur militärisch, sondern auch politisch und ideologisch. Die Ordnung von 1945 soll durch eine neue, eurasisch dominierte Struktur ersetzt werden – mit Russland und China als gleichberechtigte Architekten.
Erstaunlich ist dabei weniger die Geschlossenheit der beiden Autokratien als vielmehr die Ignoranz amerikanischer Außenpolitik. Von Nixon über Obama bis Trump und Biden: Kaum ein Präsident hat das strukturelle Moment dieses Anti-Amerikanismus erkannt. Stattdessen klammert man sich an die Hoffnung, dass wirtschaftliche Verflechtung zu Wohlwollen führt – oder dass man Russland durch Zugeständnisse von China abkoppeln könne. Als würde man alten Wein in neue Schläuche füllen. Wann endlich endet diese westlichen Selbsttäuschungen gegenüber den Systemgegnern China und Russland?