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Europa in der Zwickmühle
Zwischen Trumps Amerika und Xis China droht Europa sich zu verlieren – dabei wäre jetzt die Stunde strategischer Selbstermächtigung.
In der aktuellen Debatte macht sich ein gefährlicher Irrtum breit: Weil die USA unter Donald Trump sich von Europa abwenden, scheinen manche versucht zu sein, im autoritären China eine neue geopolitische Option zu erkennen – als wirtschaftlichen Partner, als politischen Gegenpol zur amerikanischen Unzuverlässigkeit, vielleicht sogar als strategische Alternative. Diese Idee ist nicht nur illusionär, sie ist brandgefährlich. Wer in Peking einen Ausweg aus der westlichen Krise sucht, hat nicht verstanden, dass es sich bei China längst nicht mehr um einen bloßen Akteur auf der Weltbühne handelt, sondern um einen systemischen Herausforderer. Xi Jinping verfolgt keinen pragmatischen Deal mit Europa. Er verfolgt eine historische Mission: den Aufbau einer neuen Weltordnung, die nicht auf Demokratie, individueller Freiheit und Rechtsstaatlichkeit basiert, sondern auf Kontrolle, Hierarchie und geopolitischer Einflusszone.
Gemeinsam mit Russland bildet China das Zentrum eines autoritären Blocks, der nicht bloß Macht ausüben will, sondern Legitimität verschieben will – weg von demokratischen Prinzipien hin zur Akzeptanz autokratischer Herrschaft. In diesem Kontext ist jede Annäherung Europas an China keine strategische Unabhängigkeit, sondern ein schleichender Souveränitätsverzicht. Denn Peking ist nicht neutral. Es steht offen auf der Seite Moskaus, unterstützt den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine wirtschaftlich und diplomatisch, liefert Dual-Use-Güter und blockiert jeden Versuch, Russland international zu isolieren. Europa, das in der Ukraine seine eigene sicherheitspolitische Zukunft verteidigt, kann sich keinen politischen Schulterschluss mit der Schutzmacht des Angreifers leisten – ohne sich selbst ad absurdum zu führen.
Die Vorstellung, Europa könne aus Enttäuschung über Washington nun China als Gegengewicht etablieren, ist nicht nur naiv, sie ist ein fundamentaler strategischer Irrtum. Xi Jinping sucht keine Partnerschaft auf Augenhöhe. Er will Europa als Keil zwischen den USA und der EU einsetzen, als Spaltpilz im zerbröckelndem westlichen Lager.
Der Weg zur Unabhängigkeit führt nicht über Peking, sondern über Europa selbst. Es muss sich strategisch emanzipieren – nicht durch neue Abhängigkeiten, sondern durch eigene Stärke. Was wir brauchen, ist nicht eine zweite Supermacht, an die wir uns anlehnen, sondern eine eigenständige europäische Verteidigungs- und Technologiepolitik, die uns in die Lage versetzt, unsere Werte und Interessen selbst zu verteidigen.
Gleichzeitig muss Europa die demokratische Allianz global neu denken – mit Partnern wie Japan, Südkorea, Kanada, Australien, Taiwan und evtl. auch Indien. Denn auch wenn die Demokratie in den USA derzeit taumelt, auch wenn Trump II eine reale Gefahr für den Zusammenruch des westlichen Lagers ist, darf das nicht zu einer geopolitischen Flucht in Richtung Diktatur führen.
China ist kein Ersatz für Amerika. Es ist dessen Gegenspieler – systemisch, strategisch, ideologisch. Wer das nicht erkennt, riskiert nicht nur seine politische Orientierung, sondern seine historische Rolle. Europa steht vor einer Entscheidung: Es kann sich als souveräne, demokratische Macht neu erfinden – oder es kann sich aus Bequemlichkeit in die nächste Abhängigkeit begeben. Die Geschichte wird uns an diesem Punkt messen. Und wir werden nicht sagen können, wir hätten es nicht gewusst.