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Diskurs als Nebelwand – Wie der neue Intellektuellen-Mainstream Putins Krieg relativiert

Während in der Ukraine ein Vernichtungskrieg tobt, fordern Zeh, Flaßpöhler & Co. mehr „Debatte“ – und machen sich damit zu Stichwortgebern einer neuen, feigen Kapitulationsrhetorik.

Die ZEIT lädt zur großen Debatte – und präsentiert als intellektuelles Gipfeltreffen das wohl folgenreichste Dokument westlicher Selbstverblendung seit Beginn des russischen Angriffskriegs. Unter dem Titel „Lassen Sie uns bitte reden“ fordern prominente Autorinnen wie Juli Zeh und Svenja Flaßpöhler mehr „Diskurs“, mehr „Zuhören“, mehr „Ambiguitätstoleranz“. Was nach demokratischer Offenheit klingt, ist in Wahrheit der Versuch, moralische Entschiedenheit durch Gesprächsbereitschaft zu ersetzen – und damit jede Wehrhaftigkeit der Demokratie zu neutralisieren.

Statt die Realität eines imperialistischen Vernichtungsfeldzugs klar zu benennen und eine entschlossene, auch militärisch gestützte Verteidigung der freien Welt zu fordern, verweisen die Autor*innen auf „unterschiedliche Ängste“. Die einen fürchten, Russland könnte nach der Ukraine auch andere europäische Staaten bedrohen, und plädieren daher für eine klare sicherheitspolitische Abschreckung. Die anderen haben Angst, dass gerade diese Entschlossenheit eine globale Eskalation heraufbeschwören könnte – bis hin zu einem offenen Krieg zwischen Russland und der NATO.

Doch diese Gleichsetzung ist trügerisch. Denn sie stellt die Angst vor realer Aggression auf dieselbe Stufe wie die Angst vor den Konsequenzen entschiedener Gegenwehr. Sie macht keinen Unterschied zwischen einem Angriffskrieg und seiner möglichen Eindämmung. Das Ergebnis: eine semantische Entwaffnung des Westens – zugunsten jener, die längst schießen.

Diese Form von Äquidistanz ist kein Ausdruck intellektueller Differenziertheit, sondern eine moralische Bankrotterklärung. Wer Täter und Verteidiger gleich behandelt, zerstört nicht den Diskurs – sondern den Boden, auf dem er überhaupt geführt werden kann. Ein demokratischer Streit, der zwischen Angriff und Verteidigung nicht mehr unterscheidet, verkommt zur Bühne der Relativierung – und damit zur Einflugschneise autoritärer Propaganda.

Besonders perfide ist die historische Verdrehung, mit der hier gearbeitet wird: Die Corona-Zeit wird zum Lehrstück staatlicher Übergriffigkeit umgedeutet, um heute militärische Abwehrmaßnahmen gegen einen expansionistischen Diktator zu delegitimieren. Die Reaktion auf ein Virus wird mit der Reaktion auf einen Völkermord verglichen. Das ist nicht nur intellektuell unredlich, sondern auch strategisch verhängnisvoll.

Es ist diese Art semantischer Verwischung, die das Verteidigbare zur bloßen Meinungssache erklärt. Wer sagt: „Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen“, während russische Raketen Krankenhäuser treffen und Kulturstätten ausradiert werden, betreibt keine Aufklärung – sondern Rückzug unter humanistischem Vorwand.

Putins Ziel ist längst bekannt: keine Ukraine. Wer angesichts dieser Realität von einer „Vorkriegszeit“ spricht, ohne zu benennen, wer den Krieg längst führt, macht sich – ob bewusst oder nicht – zum Stichwortgeber eines Regimes, das keine Debatten führt, sondern Journalistinnen zu Tode foltert und ihnen die Organe entfernt, um die Spuren zu tilgen.

Dass die ZEIT-Autor*innen ausgerechnet Figuren wie General Vad und Wolfgang Richter als Stimmen der „Vernunft“ präsentieren – Männer, die notorisch die Kriegsziele Putins verharmlosen – zeigt: Es geht hier nicht um Diskurs, sondern um moralische Entlastung durch rhetorische Nebelgranaten.

Die freie Welt steht an einem Scheideweg. Entweder sie nimmt die totalitäre Herausforderung an – oder sie verliert sich in selbstreferenziellen Gesprächen über den Tonfall der Wehrhaftigkeit, während der Feind längst die Waffen gewählt hat.

Wenn die Verteidigung der Demokratie nicht mehr als alternativlos gelten darf, weil das angeblich „den Diskurs beschädigt“, dann haben wir nicht Russland das Feld überlassen – sondern uns selbst aufgegeben.

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